Die dependente Störung oder Hoffnung ist ihr bester Freund

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Ich führe hier die ängstlich (vermeidende PS mit auf da sich bei der dependenten PS oft in der Komorbidität überscheidungen ergeben.

F60 .6 Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung

Eine Persönlichkeitsstörung, die durch Gefühle von Anspannung und Besorgtheit, Unsicherheit und Minderwertigkeit gekennzeichnet ist. Es besteht eine andauernde Sehnsucht nach Zuneigung und akzeptiert werden, eine Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisung und Kritik mit eingeschränkter Beziehungsfähigkeit. Die betreffende Person neigt zur Überbetonung potentieller Gefahren oder Risiken alltäglicher Situationen bis zur Vermeidung bestimmter Aktivitäten.

A. Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein.

B. Mindestens vier der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen vorliegen

  • andauernde und umfassende Gefühle von Anspannung und Besorgtheit
  • Überzeugung, selbst sozial unbeholfen, unattraktiv oder minderwertig im Vergleich mit anderen zu sein
  • übertriebene Sorge, in sozialen Situationen kritisiert oder abgelehnt zu werden
  • eingeschränkte Lebensstil wegen des Bedürfnisses nach körperlicher Sicherheit
  • Vermeidung beruflicher oder sozialer Aktivitäten, die intensiven zwischenmenschlichen Kontakt bedingen, aus Furcht vor Kritik, Missbilligung oder Ablehnung

F60. 7 Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung

Personen mit dieser Persönlichkeitsstörung verlassen sich bei kleineren oder größeren Lebensentscheidungen passiv auf andere Menschen. Die Störung ist ferner durch große Trennungsangst, Gefühle von Hilflosigkeit und Inkompetenz, durch eine Neigung, sich den Wünschen älterer und anderer unterzuordnen sowie durch ein Versagen gegenüber den Anforderungen des täglichen Lebens gekennzeichnet. Die Kraftlosigkeit kann sich im intellektuellen emotionalen Bereich zeigen; bei Schwierigkeiten besteht die Tendenz, die Verantwortung anderen zuzuschieben.

A. Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein.

B. Mindestens vier der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen vorliegen

  • Ermunterung oder Erlaubnis an andere, die meisten wichtigen Entscheidungen für das eigene Leben zu treffen
  • Unterordnung eigener Bedürfnisse unter die andere Person, zu denen eine Abhängigkeit besteht und unverhältnismäßige Nachgiebigkeit gegenüber deren Wünsche
  • mangelnde Bereitschaft zur Äußerung selbst angemessener Ansprüche gegenüber Personen von denen man abhängt
  • unbehagliches Gefühl oder Hilflosigkeit, wenn die Betroffenen alleine sind, aus übertriebener Angst nicht alleine für sich sorgen zu können
  • häufiges Beschäftigt sein mit der Furcht verlassen zu werden und auf sich selbst angewiesen zu sein
  • eingeschränkte Fähigkeit Alltagsentscheidungen zu treffen, ohne zahlreiche Ratschläge und

dazugehörige Begriffe:

  • asthenische Persönlichkeitsstörung
  • inadäquate Persönlichkeitsstörung
  • passive Persönlichkeitsstörung
  • selbstschädigende Persönlichkeitsstörung

Da die dependente Störung als Komplementstörung zur Borderline-Störung und zur narzisstischen Störung steht und sehr häufig mit starker Ausprägung der Anorexie/ Bulimie einhergeht, wollen wir uns diese ein wenig näher anschauen.

Wie bereits im Kapitel der "Borderline Störung" erwähnt, leiden 70% aller Borderlinepersönlichkeiten an den Ess Störungen, 60% am Substanzmittelmissbrauch und 80% an der dependenten Störung. Aber nicht nur hier ist die Zahl sehr hoch. Die dependente Störung als solches, aber auch in Verbindung mit der Essstörung und Substanzmittelmissbrauch, ist wohl die, gerade bei Frauen, am häufigsten auftretende Störung.

Dependente Strukturen, stark, weniger stark, begegnen uns ständig und überall. Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass ich in der Überschrift Klammern gesetzt habe. Der Grund hierfür ist, dass eine dependente Persönlichkeit noch lange nicht gestört oder persönlichkeitsgestört ist. Auch starke dependente Strukturen müssen noch nicht zu einer Störung führen.

Wie ich auch schon erwähnt habe, spricht man von Komorbidität, wenn eine oder mehrere Störungen zu einer bestehen, diagnostiziert werden können. Ich persönlich halte nichts von der Bezeichnung Komorbidität im Falle einer Borderline-Störung, da es meiner Meinung nach hier nur eine Kaskadenstörung gibt. Das heißt, wenn man eine andere Störung auf die bestehende, unterliegende (Borderline-Störung) aufsetzt.

Das Problem der Komorbidität besteht in der getrennten Betrachtungsweise der einzelnen Störungen, was natürlich getrennte/ unterschiedliche Behandlungsansätze oder sogar Behandlungen zur Folge hat.

Eine Kaskade muss ich, ob ich will oder nicht, als Ganzes betrachten.

Der Leser pflichtet mir sicherlich bei, dass ich keinen Erfolg, bzw. nur einen kurzfristigen, haben kann, wenn ich nur an der obersten Kaskade herumdoktere und nicht auch die untere repariere.

Wenn dem also so wäre, dann müsste die narzisstische Störung als Komorbidität der Borderline-Störung auftauchen. Tut sie aber nicht. Weil das ICD10 die narzisstische Störung (F60.80) nicht getrennt ausweist, kann nicht der Grund sein. Das DSM-IV weist sie getrennt aus. Richtig ist somit wohl eher, es wie Kernberg zu betrachten, der die narzisstische Störung unter der Borderlein Störung einordnet.

So bezweifle ich auch, dass es eine Komorbidität mit der dependenten Störung gibt. Da spricht zu vieles dagegen. Hier handelt es sich meiner Meinung nach wohl eher um ADAS- ler, vom Typ hyperaktiv oder Mischtyp des ADHS, mit dependenter Störung oder sehr starken dependenten Strukturen. Die Borderlinepersönlichkeit hat allenfalls (starke) dependente Strukturen.

Auch fallen dependente Persönlichkeiten, wenn wir die alten diskriminierenden Begriffe verwenden wollen, eher in die Gruppe der Neurotiker, als Psychotiker. Borderlinepersönlichkeiten dagegen auf die Grenze beider, d.h. sie vereinen beides.

Auch aus diesem Grund heraus betrachte ich die dependente Störung als Komplementstörung zur Borderline-Störung. Komplementär heißt hier nicht Gegensatz, sondern "sich ergänzend". So wie Schloss und Schlüssel. Oder besser ausgedrückt, wie Komplementärfarben, d.h. alle Farbenpaare, die im jeweiligen Verhältnis gemischt "weiß" ergeben.

Dem Leser, der jetzt noch nicht meiner Meinung ist, wird es am Ende dieses und der folgenden Kapitel etwas besser verständlich sein.

Wie der Name es sagt, dependent = abhängig, beinhaltet diese Störung immer eine Abhängigkeit, in der Regel zu nahe stehenden Personen, wie z.B. Vater, Mutter, Partner. Grundsätzlich ist es eine emotionale Abhängigkeit.

Borderlinepersönlichkeiten glauben von sich oft, der dependenten Störung zu unterliegen. (Zumal sie auch oft die Zusatzdiagnose F60.7 bekommen.) Dem ist nicht so, auch wenn sich einige Symptome überschneiden. Aus der Sicht der Borderlinepersönlichkeit ist es durchaus verständlich und nachvollziehbar. Sie glauben zumindest am Anfang überstark zu lieben, alles für den Partner zu tun, an der Beziehung (in der der Partner, also Sie, ja so krank ist) festzuhalten, obwohl sie es nicht sollten. Seine häufigen Trennungen bezeichnet der Borderliner als Versuch, sich aus seiner Abhängigkeit zu befreien und die Trennung ist dann der Sieg. Und so unrecht hat er gar nicht, denn abhängig von Ihnen ist er in der Idealisierungsphase wirklich. Aber auch durch seine Verlustangst, die allerdings ganz unbegründet ist, seinem Substanzmittelmissbrauch oder die Abhängigkeit von diesen, sieht er sich so. Aus diesen Gründen heraus bekommen sie häufig fälschlicherweise die Diagnose, dependente Störung oder sie wird mitdiagnostiziert (Komorbidität).

Die dependente Störung tritt nicht unbedingt allein auf. Oft in Verbindung mit dem ADS/ADHS, der gemischten Persönlichkeitsstörung, der Essstörung, der rezidivierenden (wiederkehrenden) Depression und insbesondere mit der/ einer Substanzmittelabhängigkeit, bzw. dem Missbrauch dieser.

Aber auch psychosomatische Störungen treten sehr häufig als Folge ihrer falschen Anpassung oder Trennungskonflikten auf.

Wie erwähnt setzt oft eine Abhängigkeitsverschiebung ein. Daraus resultiert eine hohe Abhängigkeitsgefährdung auf alle Bereiche des Lebens.

Ich benutze hier absichtlich nicht das Wort Sucht, gleichgestellt mit Abhängigkeit. Ein Missbrauch, eine beginnende oder bestehende Abhängigkeit, ist noch keine Sucht. Sucht tritt ein, wenn eine psychische oder physische Abhängigkeit, ein Zustand chronischer Vergiftung, vorhanden ist.

Die Verschiebung kann viele Formen annehmen. Beziehung, Alkohol, Drogen, Medikamente, Arbeit (Workaholik), Glücksspiel, Sport, Co- Abhängigkeit. Wobei Sport das geringste Übel ist. Der Übergang zur Sucht ist häufig. Auch bei der dependenten Störung gibt es häufig Fehldiagnosen, da sie oft gar nicht erkannt wird.

So kommt eine Frau in die Klinik, weil sie unter schweren Depressionen leidet und wird mit Zyprexa behandelt. Die dependente Störung allerdings wird nicht erkannt. Die Depression ist hier Folge ihrer jahrelangen Demütigungen (Mann = narzisstische Störung) und des verzweifelten und ergebnislosen Kampfes, ihre Ehe zu beenden.

Ein Workaholik klappt mit einem Burn- Out- Syndrom zusammen. Er wird natürlich auf das Burn- Out behandelt, mit der Maßgabe, nicht mehr zu viel zu arbeiten. Die dependente Störung wird nicht erkannt.

Ein Alkoholiker wird eingeliefert. Diagnose ganz klar. Dass er, bevor er dies wurde und seine Arbeit noch hatte, Workaholiker war und davor ein besessener Sportler war- eine dependente Störung vorliegt- wird nicht gesehen.

Im zweiten Beispiel wird wahrscheinlich, dass eine Abhängigkeitsverschiebung, wie im dritten Beispiel geschehen, eintritt.

Aber zurück. Die dependente Störung wird oft erst durch besagte Verschiebungen im Erwachsenenalter festgestellt.

Bei vorgeschalteter bzw. stattgefundener Abhängigkeitsverschiebung und/ oder Suchtentwicklung ist es sogar für den Spezialisten äußerst schwierig die unterliegende, dependente Persönlichkeitsstörung zu erkennen. Auf der anderen Seite ist nicht bei jedem Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenabhängigen eine unterliegende dependente Persönlichkeitsstörung vorhanden. Verwechseln Sie bitte nicht Sucht (krankheit) mit dependenter Störung. Die Sucht ist oft, nicht immer, die Folge, also die Auswirkung. Sucht kommt von siechen und heißt krank. (Persönlichkeits)- Gestört bezeichnet lediglich den Ausdruck komplexer psychosozialer, zwischenmenschlicher Krisen.

Man kann nicht sagen, dass die dependente Störung eine frühkindliche Störung ist. Vielmehr handelt es sich um eine Entwicklungsstörung. Es gibt auch, im Gegensatz zu anderen Störungen, keinen sogenannten Ausdruck der Störung. Die Entwicklung und Zustandsänderung ist fließend und langsam.

Eine tragende Rolle in der Entwicklung dieser Störung spielt die Adoleszenzphase (Ablösungsphase, Übergang vom Kind zum Erwachsenen, Pupertät).

D.h. der Zeitraum für Mädchen ab dem 10. Lebensjahr und für Jungen ab dem 12. Lebensjahr bis zum 18./ 20. Lebensjahr.

Wir wissen bereits aus dem Kapitel "Entwicklung/ Prägung - in dem alles ausführlich dargelegt ist-, dass die Ablösung von der Mutter kein Zeitpunkt ist, der mit dem 10. oder 12. Lebensjahr beginnt, sondern schon viel früher, ab dem 2. bis 3. Lebensjahr. Ab dieser Zeit zieht es die Kreise durch seine Autonomiebestrebung um die Mutter immer weiter und kehrt wieder zurück. Wir wissen, die Mutter muss dies zulassen, hat das Kind altersgerecht zu unterstützen, wobei es das Wichtigste ist, dass dem Kind das Vertrauen gegeben wird, jederzeit wieder zurückkommen zu können/ zu dürfen. Dem Kind wird also die zwangsläufig entstehende Verlustangst genommen. Über die Mutter wird somit das Nähe- Distanzverhalten festgelegt. Unschwer zu erkennen, dass diese Festlegung auch das spätere Bindungsverhalten in Beziehungen prägt. Hier sei nur noch einmal der Vollständigkeit halber auf das schon ab dem 2. Lebensjahr entstehende Bindungsverhalten von Kindern hingewiesen, welches sich in den 4 Kategorien sichere, ablehnend- sichere, ambivalent- unsichere und desorganisiert- unsichere Bindung wiederspiegelt.

Es dürfte klar sein, dass sich eine dependente Störung wohl kaum aus einer sicheren Bindung entwickelt.


Geschichte Michel Teil I

An dieser Stelle möchte ich Ihnen kurz eine Situation aus dem Leben eines kleinen Jungen schildern. Nennen wir ihn Michel.

Die Mutter ist geschieden und alleinerziehend. Eine Partnerschaft hat sie nicht.

Michel, ca. 5 Jahre alt, ist für sein Alter unheimlich selbstständig. Da seine Mutter immer lange arbeitet, oft wird es langsam dunkel, bis sie kommt, ist es für ihn kein Problem, sich auch mal selbst zu versorgen, bzw. sich mit sich selbst zu beschäftigen. Würde man ihn tagsüber beobachten, könnte man in vielen Bereichen annehmen, er wäre doppelt so alt. Trotz dieser Selbstständigkeit schläft Michel im großen Doppelbett der Mutter, denn diese kann sich nur eine kleine Wohnung leisten. Kommt die Zeit der Nachtruhe, wird Michel noch unruhiger, als er eh schon ist. Seine Angst zeigt er nicht, keiner sieht sie. Er will nicht allein in diesem großen, dunklen, kalten Raum in der Dunkelheit sein. Es wird unter das Bett, in jeden Schrank, in jede Ecke geschaut, bevor Michel das Licht löscht und schwupp ins Bett springt, schnell die Decke über den Kopf zieht und wartet, was wohl passiert. Horch, bumm, bumm, bumm, nur sein Herzchen hört Michel schlagen. Es bleibt still. Michel beruhigt sich und schläft ein.

In der Regel liegt die Mutter neben ihm, wenn er aufwacht. Doch diese Nacht ist alles anders. Als Michel aufwacht, ist seine Mutter nicht da. Er ruft, niemand antwortet. Er ruft lauter, es bleibt still. Nur der Wecker macht tick- tack, tick- tack. Michel beschließt, trotz der Angst, die in ihm aufsteigt, nach der Mutter zu schauen. Es ist stockfinster und die Suche nach dem Lichtschalter stellt sich durch seine Angst, als äußerst schwierig heraus. "Wie komme ich an diesen Lichtschalter, der dort drüben irgendwo an der Wand ist", denkt Michel.

Wie ein Nahkampfspezialist lässt er sich aus dem Bett rollen und robbt, immer Pausen einlegend, um das Bett herum in Richtung Lichtschalter. Puh, geschafft.

Er durchsucht, einen Lichtschalter nach dem anderen betätigend, regelrecht die ganze Wohnung, die ihm riesig vorkommt, nach der Mutter. Ergebnislos. Michels Angst steigt, doch er wird nicht panisch.

"Die Mama ist bestimmt bei der Oma", denkt er sich. Vergessen hat er, dass die Mama ihm das gesagt hat. Auch dass sie nur kurz wegbleiben wollte. Er weiß ja nicht einmal, wie viel Zeit vergangen ist und mit der Uhrzeit hat er es nicht so. Also zieht er sich eine dünne Jogginghose an, einen Pulli drüber, zieht die Tür hinter sich zu und marschiert in seinen Hausschuhen los.

Hier muss kurz erwähnt werden, dass die Familie kein Telefon hatte und die Zeit der Handys noch nicht angebrochen war.

Es ist bitter kalt und der Schnee liegt hoch. Wie spät es ist, weiß Michel nicht und es wäre ihm auch egal.

Seine Intension ist es, seine Mutter zu finden oder zur Oma zu gelangen. Es ist eine Kleinstadt, den Weg kennt er und es ist nicht weit. Nur die Kälte und der hohe Schnee machen Michel schwer zu schaffen. Als er am Haus der Oma ankommt, es ist ein Hochhaus, sieht sich Michel mit einer enormen Anzahl von Klingeln konfrontiert. Lesen kann Michel nicht, noch nicht. Aber er kann sich erinnern, dass die Mutter immer im unteren linken Bereich geklingelt hat. Allein die Anzahl der Klingeln würden jeden Erwachsenen verwirren. Nicht so Michel. Er stellt sich auf seine Zehenspitzen und drückt mit seinen kleinen Händchen auf alle Klingelknöpfe, die er erreichen kann. Möglicherweise, denkt sich Michel, die Oma meldet sich und er erkennt die Stimme oder irgend jemand wird sich schon melden und erkennt ihn. Wir wissen es nicht.

Nachdem Michel so viele Klingeln als möglich betätigt hat, melden sich tatsächlich viele Leute über die Sprechanlage. Erstaunlicherweise sagt Michel nicht, er suche seine Mama, wie das wohl jedes Kind in seinem Alter tun würde. Er sagt: "Hier ist Michel und ich will zu meiner Oma". Nun, Michel ist bekannt und die Oma noch mehr. Die Haustür öffnet sich und er hat schwer mit dieser zu kämpfen. Dann steht er vor dem Fahrstuhl und erinnert sich, dass man irgendwo draufdrücken muss, damit die Tür aufgeht. Doch die Knöpfe sind viel zu hoch. Davon abgesehen, wüsste Michel gar nicht, welche Etage er drücken müsste, denn Zahlen kann er auch noch nicht lesen, bzw. zuordnen.

Michel macht sich also ans Treppensteigen. Er weiß nicht, in welcher Etage Oma wohnt und auch wenn er es wüsste, er könnte, wie gesagt, die Zahlen nicht zuordnen. Was macht unser Michel? Michel brüllt in jedem erklommenen Stockwerk ganz laut nach der Oma. Nicht angsterfüllt, nur eben so laut, dass jeder ihn hören kann. Was für ein Aufruhr in diesem Haus. Schon ab der 2. Etage hat Michael Begleitung von so manchem Bewohner. Die Prozession schraubt sich, von Michels Brüllen begleitet, Etage um Etage nach oben. Schließlich wird die Oma gefunden, die ihn, wie immer, warm, weich, fürsorglich und herzlich empfängt. Die Leute um Michel "was für ein tapferer Junge, ganz allein im Winter, usw.". Die Mutter ist beschämt, wütend und stolz zugleich (ambivalent).

Auch Michel ist unheimlich stolz auf sich und wächst um einen ganzen Meter. Aus seinem Mund kommt kein Wort der Angst. Es fragt auch keiner, warum er das wohl gemacht hat, welche Ängste er hatte, zumal sein ganzes Auftreten alles andere als ängstlich ist.

In der Wohnung der Oma gibt es erst einmal von dieser weiter die Bestätigung seiner Tapferkeit und Streicheleinheiten in Form von heißem Kakao und Keksen. Michel sieht der Mutter an, dass diese schimpfen will, doch vor der Oma traut sie sich nicht. Die Oma kennt ihr Kind (Mutter) und verweißt sie darauf, nicht so streng mit dem Jungen zu sein. Michel hätte schließlich nur Angst gehabt.

Oh, denkt sich Michel, woher die Oma das denn schon wieder weiß, sagt aber nichts. Die Mutter kontert: "schau ihn dir doch an, stapft allein in der Nacht durch den Schnee, der Junge hat doch keine Angst" und als ob sie eine Bestätigung für das aufkeimende schlechte Gewissen fragt sie: "stimmt doch oder, Michel? Du hattest doch keine Angst allein? Ich hatte dir doch gesagt, ich komme gleich wieder". Michel schüttelt den Kopf und leise, kaum hörbar, murmelt er: "keine Angst".

Die Mutter drängt darauf nach Hause zu gehen. Auweia, Michel weiß schon ,was dann kommt. Gibt es wieder was hinten drauf. Klar, dass Michel bei der Oma bleiben und nicht gehen will. Er weiß nicht nur, dass er bei der Oma sicher ist, sondern auch, dass er in dem Hochhaus sicher ist. Da schallt es immer so schön und er würde das ganze Haus zusammen brüllen. Anzunehmen ist, dass auch die Mutter das weiß.

Kaum auf der Straße kommt, was Michel befürchtet hat und wie einen Ziegenbock muss die Mutter ihn nach Hause schleifen.

Verlassen wir vorerst Michel und überlassen ihn seiner Mutter. Wir kommen später noch einmal auf ihn zurück.

Schafft es das Kind nicht, sich von den Eltern, hauptsächlich der Mutter, zu lösen, bleibt es gefangen.

Charakteristisch ist somit, dass Menschen der dependenten Störung, durch die nicht erfolgreich gestaltete Ablösung, die Abhängigkeit verschieben oder verschoben haben.

Auch eine scheinbar erfolgreiche Pubertät (Adoleszenz), ich sage hier bewusst nicht Ablösung, kann eine dependente Störung beinhalten. Es gilt also, in dieser Störung nicht ein Ereignis oder Abschnitt ist entscheidend, sondern sich aneinanderreihende, vereinende.

Alle Betroffenen besitzen starke Verlustängste. Darin mag wohl auch der Grund der "Süchte" liegen. Sie überdecken diese Ängste, halten sie im "Griff"- zumindest glaubt das der Betroffene. Begründet sind die Ängste in der Kindheit. Man könnte sagen, die dependente Persönlichkeit ist, zumindest in Beziehungen, im Rollenmuster der Kindheit verhaftet.

Sie haben nie gelernt, mit Verlusten nahestehender Personen bzw. Beziehungen umzugehen/ fertig zu werden. Der Verlust muss hier nicht der Tod sein, sondern kann eine einfache Trennung sein.

Wie bereits beschrieben, hat Trennung immer etwas mit Sterben zu tun, - und für Kinder sowieso.


Geschichte Michel Tei II