Opiate

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Substanzgruppe der Opiate

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Historisch-medizinische Perspektive

Die Bestrebungen europäischer Mediziner im 19. Jahrhundert, die bis dahin beobachteten unerwünschten Nebenwirkungen beim Opium-Gebrauch zu modifizieren und nur die positiven Wirkungen für die Medizin nutzbar zu machen, führten zu einem fortlaufenden Reinigungs- bzw. Synthetisierungsprozess der Schlafmohnsubstanzen, so daß wir heute eine ganze Substanzgruppe der Opiaten vorfinden.

1803 isolierte ein Apotheker erstmals aus dem Schlafmohn das Morphin, welches bis heute in der Medizin als prototypisch, als das wirksamste Analgetikum, d.h. schmerzstillendes Medikament betrachtet wird. Als weitere Substanz wurde Kodein synthetisiert.

Um 1840 wies der Arzt und Apotheker Levin auf eine mögliche Toleranz, d.h. Abhängigkeit durch Morphineinnahmen hin - er stieß dabei auf großen Widerstand der Ärzteschaft.

Ende des 19. Jahrhunderts (1898) erreichte die Firma Bayer als weiteren pharmazeutischen Reinigungsschritt die Gewinnung von Heroin als halbsynthetisches Opium, welches unter der Bezeichnung Diacetylmorphin geführt wird.

Mit Methadon, Phentanyl, Polamidon und Bufremorphin u.a. wurde die Schwelle der vollsynthetischen Opiate überschritten.

Wie entsteht Schmerz? Wirkmechanismus von Schmerz im Gehirn

Der Körper registriert einen Schmerzimpuls, welcher über das Rückenmark zum Gehirn weitergeleitet wird. Bei dieser Dynamik spielt sich folgendes ab: Der Schmerzimpuls aktiviert Nervenzellen durch die Freisetzung der Transmitter Glutamat und Subsatnz P. Die nachgeschalteteten Neuronen senden die Schmerzinformation durch das Rückenmark in das limbische System (der Teil des Gehirn, welcher für die Verarbeitung von Gefühlen zuständig ist). Als Schutzreaktion wird nun durch das Gehirn die Ausschüttung körpereigner Morphine angeregt, d.h. der Organismus erzeugt endogene, körpereigene Analgetika. Dieser Vorgang wird als "neuronale Feedbackschleife" bezeichnet (periphere Schmerzempfindung => Rückenmark => limbisches System => Rückenmark => Schmerzort).

Pharmakodynamik und -kinetik

Anknüpfend an die Dynamik endogener Drogen wie den Endorphinen zeigt sich eine ähnliche schmerzstillende Wirkweise bei exogenen Opiaten im menschlichen Körper: Im Gegensatz zu anderen Schmerzmitteln, die lokal wirken, beeinflussen Opiate prinzipiell das Nervensystem. Ein Effekt z.B. des Morphins liegt nicht darin, Schmerz so zu reduzieren, daß er nicht mehr spürbar ist, sondern eine affektive Dynamik zu erzeugen: Schmerzen erscheinen den betroffenen Menschen nun aushaltbarer, erträglicher bzw. ist ihnen gleichgültig.

Die agonistischen Opiatsubstanzen (z.B. Heroin, Morphin) ahmen die analgetische Dynamik der Endorphin-Botenstoffe nach, während die Opiat-Antagonisten Naltrexon und Naloxon durch die Besetzung der Endorphinrezeptoren die Wirkung exogener Opiate aufheben.

Opiatsubstanzen entfalten Ihre Wirkung als

  • Analgetikum (schmerzstillend)
  • Sedativum (beruhigend)
  • Anxiolytikum (angstlösend bzw. -hemmend)
  • Euphorikum (euphorisierend).

Allerdings wird auch eine gleichzeitige Körperreaktion provoziert, die sich in Pupillenverengung, Atemdepression (Verengung der Bronchien) und Depression der Darmperistaltik äußert, d.h. eine Verlangsamung bzw. Hemmung der Lungen- und Darmfunktion. Dieser Effekt kann z.B. bei Durchfall oder Bronchialerkrankungen medizinisch erwünscht sein.

Opiate beeinflussen nicht nur körperliche Schmerzen positiv, sondern erzeugen auch bei psychischen Schmerzen einen als angenehm empfundenen Entspannungs- oder Euphoriezustand.

Applikationsformen

Opiate können wie folgt eingenommen werden:

Applikationsform Resorption
oral / rektal (Zäpfchen) langsam
intravenös (z.B. Heroin, Morphin)
Atemdepression bei Überdosierung
innerhalb von Sek./Min.
Inhalieren rauchen in wenigen Minuten

Weitere Anwendung von Morphin z.B. als Periduralanästhesie (PDA), d.h. Rückenmarksbetäubung beim Geburtsvorgang (Kaiserschnitt etc.) und bei Operationen.

Opiate gelangen in das Gewebe und werden sehr schnell (Heroin in 3-5 Std.) zu Morphin und Kodein metabolisiert. Ca. 3-4 Tage sind Opiatmetaboliten nachweisbar. Testverfahren, z.B. des Urins lassen allerdings keinen Rückschluß auf konkrete Substanzen zu, lediglich daß eine Einnahme von Heroin oder Morphin und/oder Kodein stattgefunden hat.

Toleranz

Opiatabhängigkeit äußert sich im Verlangen nach der Einnahme höherer Dosen und weist folgende körperliche und psychische Mechanismen auf:

  • Der Organismus erhöht die Zahl opiatabbauender Enzyme, so daß um eine spürbare Wirkung zu erzielen, die Dosis ebenfalls erhöht werden muß.
  • Die Empfindlichkeit der Opiatrezeptoren nimmt ab.
  • Eine Kreuztoleranz mit anderen Opiaten (bis zur letalen Dosis) entsteht.
  • Die das Setting und Set betreffende Abhängigkeitsstruktur zeigt sich in einer Verhaltenskonditionierung:

Erfahrungen und damit verbundene Gefühle werden mit Hilfe der Opiatwirkung getriggert, d.h. ausgelöst bzw. gegenwärtige (Gruppen-)erlebnisse während der Opiateinnahme prägen Wahrnehmung und Verhalten. Allerdings wird durch die Gewöhnung die Wirkung der Opiate abgeschwächt. Die Speicherung vollzieht sich durch eine spezifische Transmitterkonzentration zum gegenwärtigen Zeitpunkt des Erlebnisses; es folgen neue neuronale Verknüpfungen, die wieder genutzt werden können, d.h. emotionale Erinnerung wird möglich und abrufbar. Die durch Opiate ausgelöste Ekstase verbunden mit den auf das Setting bezogenen Erfahrungen lösen die Motivation aus, den Rausch zu wiederholen.

Entzug

Die körperlichen und psychischen Konsequenzen des Entzugs werden von den Betroffenen wie folgt erlebt:

Die gegenteilige Wirkung der Opiate setzt mit intensiven körperlichen und psychischen Schmerzen ein. Ängste, Depressionen, Appetitlosigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten sind die Folge, aber auch die als "craving" bezeichnete Drogengier sowie Störungen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Atemprobleme chrakterisieren den Entzugsprozess. Noch ca. einem halben Jahr lang können Depressionen und das "craving" (protahierte Abstinezsymptome) den entziehenden Menschen begleiten. Soziale Konsequenzen zeigen sich z.B. im Verlust der Bezugsgruppe.

Problematisierung

Setbedingte Dispositionen (Persönlichkeitsstruktur eines Menschen) können psychische Abhängigkeiten erleichtern, z.B. wenn eine geringe Frustrationstoleranz, d.h. eine geringere psychische Belastbarkeit bei Konflikten besteht und/ oder die Auseinandersetzung mit (psychischen) Konflikten vermieden wird. Die Aussicht, auf "Knopfdruck" entspannt und glücklich zu sein, kann dann für manche Menschen besonders verlockend erscheinen.

Allerdings zeigt das Beispiel des massiven Konsums von "Prozac", einem Antidepressiva, in den USA [in Deutschland als Fluctin auf dem Psychopharmaka-Markt], daß nicht nur das Set eine Auswirkung auf Konsum und Toleranz von Drogen haben kann, sondern auch das Setting, das soziale Umfeld oder die Gesellschaft.

Psychische Probleme gelten nicht als normale Reaktion auf "unnormale", d.h. belastende Lebenssituationen oder die "Leistungsgesellschaft", jedoch als unerwünschte Schwäche - es findet eine soziale Stigmatisierung und Pathologisierung statt, die nach einer schnellen und billigen "Lösung" verlangt, z.B. durch "Prozac": Probleme werden unsichtbar gemacht, Menschen verhalten sich "normal" und angepaßt, Pharmakonzerne verdienen viel Geld am Konsum und der Staat spart an guter psychosozialer Unterstützung.


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